Wie ich Feminismus verstehe (7) Was ist mit dem Apostel Paulus?


 

Und was ist mit Paulus? Warum halten so viele Menschen Paulus für einen Frauenfeind? Als Frauen neigen wir dazu, zusammenzuzucken, wenn wir seinen Namen hören, aber sollten wir das wirklich? Vielleicht sollten wir die ganzen Schriften des Paulus studieren und nicht nur die wenigen Verse, die für die Unterordnung von Frauen verwendet wurden. Könnte es sein, dass diese Verse auf eine Weise interpretiert wurden, die Paulus nie beabsichtigt hat?

Das Leben des Paulus ist im Neuen Testament aufgezeichnet und wir können sehen, wie seine Begegnung mit Jesus auf dem Weg nach Damaskus ihn völlig veränderte. Er erlebte einen völligen Perspektivwechsel, den er für den Rest seines Lebens in sein Zeugnis aufnehmen sollte. Der strenge Anhänger der jüdischen Gesetze wurde zu einem Nachfolger Jesu. Wir sehen ihn eng mit Priska und Aquila zusammenarbeiten, nicht nur in ihrem Zeltmachergeschäft, sondern auch in der Verkündigung und Lehre des Evangeliums. In Philippi waren die ersten die zum Christentum bekehrt wurden Frauen, die er bei einem Frauengebetstreffen kennenlernte und die die erste Hausgemeinde in Europa gründeten. Das beweist für mich, dass Paulus keineswegs ein Frauenfeind war. Er trat in die Fußstapfen Christi, als er sagte: "Und ihr solltet meinem Beispiel folgen, so wie ich Christus folge" (1Korinther 11,1). Wir haben bereits gesehen, wie Jesus mit Frauen umging.

Paulus schrieb den Galatern über Gottes Sicht der Gleichstellung: "Und so seid ihr alle Kinder Gottes durch den Glauben an Jesus Christus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, gehört nun zu Christus. Nun gibt es nicht mehr Juden oder Nichtjuden, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen. Denn ihr seid alle gleich - ihr seid eins in Jesus Christus. Und weil ihr nun zu Christus gehört, seid ihr die wahren Nachkommen Abrahams. Ihr seid seine Erben, und alle Zusagen Gottes an ihn gelten euch" (Galater 3,26-29NIV).

Der Apostel Paulus gehörte nicht zu den ursprünglichen zwölf Jüngern, aber er betrachtete sich als von Jesus berufen, ein Apostel zu sein. So wie Paulus sagen konnte: "Doch was immer ich jetzt bin, das bin ich durch die Gnade Gottes (1. Korinther 15,10), betrachtete er auch Frauen, mit denen er zusammenarbeitete, als von Gott berufen, das Evangelium zu verkünden. In Römer 16 erwähnt Paulus viele Frauen, die er als seine Gefährtinnen in der Arbeit schätzte, wie Priscilla, Phoebe, Maria, Junia, Tryphena und Tryphosa, Persis, Julia und die Schwester des Nereus, sowie die Mutter des Rufus.

Männer und Frauen beteten in der frühen Gemeinde als gleichberechtigte Teilnehmer zusammen an. Dies alles war Teil von Gottes Plan für die Menschheit. Jesus hatte mit seinem Beispiel gezeigt, dass Frauen genauso nach Gottes Ebenbild geschaffen sind wie ihre männlichen Gegenstücke. Aber dann ging wieder etwas schief. Nach einer Zeit, in der Frauen in den Gemeinden dienten, wie der Heilige Geist sie berief, begann die organisierte Kirche, Frauen zu unterdrücken. Die Diskriminierung von Frauen war lange Zeit die Norm der allgemeinen Gesellschaft gewesen, aber im Laufe der Zeit verblasste die egalitäre Haltung der Kirche, und Männer übernahmen die Macht, und sie taten dies mit Hilfe der Schriften des Paulus. Paulus schrieb aber so viel mehr, in dem er seine integrative Perspektive der Gemeinde zeigte, in der Männer und Frauen - alle - aufgerufen waren, an ihrer Freiheit in Christus festzuhalten.

Paulus lebte in einer Welt, in der Frauen nicht als Gleichberechtigte behandelt wurden. Es war eine römische Welt mit römischen Gesetzen mit männlicher Vormundschaft für Frauen. Beth Allison Barr schreibt: "Ehefrauen mussten sich rechtlich der Autorität ihrer Ehemänner unterordnen; unverheiratete Frauen mussten sich der Autorität ihrer Väter oder der nächsten männlichen Verwandten unterordnen; Frauen konnten kein Eigentum besitzen oder eigenständig Geschäfte führen; Frauen konnten keine rechtlichen oder finanziellen Transaktionen durchführen, ohne dass ein Mann in ihrem Namen handelte. Aus dieser historischen Perspektive ist es nicht überraschend, dass Diskussionen über Ehefrauen in römischen Texten aus dem ersten Jahrhundert die Lebensrealität von Ehefrauen in der römischen Welt des ersten Jahrhunderts widerspiegeln.  Dass Paulus eine Anweisung für Frauen einfügte, ihren Männern untertan zu sein, ist genau das, was die römische Welt erwartet hätte" (The Making of Biblical Womanhood, Kapitel 2).

Paulus sagte aber: "Ordnet euch aus Achtung vor Christus bereitwillig einander unter" (Epheser 5,21). Er schrieb auch einen langen Abschnitt, in dem er die Ehemänner aufforderte, ihre Frauen zu lieben (Verse 25+28+33). Das war etwas ganz anderes als die römischen Gesetze, die Frauen unterdrückten. Paulus wollte den Christen nicht das römische Patriarchat aufdrücken; er benutzte eine von Jesus beeinflussten Herangehensweise, um den Christen zu sagen, wie das Evangelium sie frei macht. Wenn Paulus sagt: "Ihr Ehefrauen sollt euch euren Männern unterordnen, so wie ihr euch dem Herrn unterordnet" (Vers 22), sagt er, dass Jesus die Frauen frei gemacht hat, dass sie aber respektvoll in der Ehe sein sollten aufgrund ihrer Liebe zueinander und zu Gott. Wir sollten nicht einen von Paulus geschriebenen Vers aus dem Kontext herausreißen und ihn in einer Weise interpretieren, die eindeutig nicht von Paulus beabsichtigt war. In Vers 21 ruft er zur gegenseitigen Unterordnung von Männern und Frauen auf. Er betont nicht die Macht und Autorität des Mannes. Die frühe Gemeinde versuchte, sich in die römische Welt einzufügen und gleichzeitig als Christen zu leben.

Einige andere Passagen scheinen der egalitären Haltung des Paulus zu widersprechen. "Die Frauen sollen in den Gemeindeversammlungen schweigen. Es gehört sich nicht, dass sie sprechen. Sie sollen sich unterordnen, wie es im Gesetz steht. Wenn sie Fragen haben, sollen sie zu Hause ihre Ehemänner fragen, denn es steht ihnen nicht zu, in der Gemeindeversammlung zu sprechen" (1 Korinther 14,34+35).  Da Paulus bereits geschrieben hatte: "Eine Frau entehrt ihren Ehemann, wenn sie ohne Kopfbedeckung betet oder weissagt“ (1 Korinther 11,5), kann er nicht meinen, dass Frauen überhaupt nicht reden sollten. Er scheint sich auf Ehefrauen zu beziehen, die den Gottesdienst stören, indem sie in der Gemeinde laut Fragen stellen. Frauen waren meist recht ungebildet, da sie nicht lernen durften, die heiligen Schriften zu rezitieren. Die antike Kultur betrachtete es als unhöflich, wenn ungebildete Personen Vorträge mit Fragen aufhielten, die ihren Mangel an Bildung zeigten. Deshalb forderte Paulus die Männer auf, ihren Frauen zu helfen, ihre Bildung zu Hause im Privaten nachzuholen. Dieser Gedanke wird im Brief des Paulus an Timotheus fortgesetzt. "Eine Frau soll in der Stille und in aller Unterordnung lernen" (1 Timotheus 2,11). Diese Unterordnung und Ruhe erwartet er aber auch von allen Christen, damit sie in Frieden leben können. "Vor allem anderen fordere ich euch auf, für alle Menschen zu beten. Bittet bei Gott für sie und dankt ihm. So sollt ihr für die Herrschenden und andere Menschen in führender Stellung beten, damit wir in Ruhe und Frieden so leben können, wie es Gott gefällt und anständig ist" (1 Timotheus 2,1+2). Paulus schrieb an Timotheus in Ephesus, wo falsche Lehrer die Gläubigen beeinflussten, besonders die weniger gebildeten Gemeindeglieder. Das waren natürlich auch die Frauen. Und so wie heute Menschen leicht alle möglichen Verschwörungstheorien aufschnappen und anderen von ihren Überzeugungen erzählen, waren die Frauen in Ephesus in der Gefahr, falsche Lehren zu glauben und zu lehren. Um das zu verhindern, schrieb Paulus: "Ich erlaube der Frau nicht, zu lehren oder über den Mann zu herrschen; sie soll sich still zurückhalten" (1 Timotheus 2,12). Auch dieser Vers sollte nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden, zumal Paulus das Lehren und Predigen seiner Mitarbeiterinnen sehr schätzte, wie aus seinen Grüßen an die Gemeinde in Rom hervorgeht.

Die Schriften des Paulus sind benutzt worden, um Frauen von der Leitungsaufgaben auszuschließen, aber das bedeutet nicht, dass das die Absicht von Paulus war. Es ist unfair, ein paar Worte aus dem Zusammenhang zu nehmen und sie auf eine Weise zu interpretieren, die nicht mit dem Rest seiner Schriften übereinstimmt. Vielleicht sollten wir noch einmal alles, was Paulus geschrieben hat, mit einem klaren Verstand, frei von vorgefassten Meinungen lesen? Es könnte eine sehr befreiende Erfahrung sein.

 


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