Die Polkagris-Erfindung


Jedes Mal, wenn wir durch Schweden fuhren, wollte ich das kleine Städtchen Gränna besuchen, das für sein Zuckergebäck namens Polkagris berühmt ist, aber wir verließen nie die Autobahn, die am Ufer des Vetternsees oberhalb von Gränna führte. Es gab immer gute Gründe, den Besuch der Stadt auf später zu vertrösten. Ich war schon als kleines Kind dort gewesen und wollte gern wieder einmal die Heimat des Polkagris sehen. So besuchten wir letzte Woche endlich die Stadt, die am steilen Hang des Seeufers gebaut ist.

Es gab nicht viel zu sehen. Nur eine Straße, die nach dem Gründer der Stadt, Graf Per Brahe, aus dem 17. Jahrhundert benannt wurde. Die urigen alten Häuser waren hübsch, und in den Schaufenstern wurden alle möglichen Arten von Polkagrisar angeboten und die Passanten wurden zum Probieren eingeladen. Ich wollte nur ein paar Schnappschüsse machen und unseren Weg fortsetzen. Dann entdeckte ich einen Aushang, der die Geschichte von Amalia Eriksson, der Erfinderin des Polkagris, erzählte.

Amalia (1824 - 1923) war ein Waisenkind, das im Alter von zehn Jahren Dienstmagd bei einer Familie wurde, die 1855 nach Gränna zog. Dort heiratete Amalia 1857 den Schneider Anders Eriksson, mietete ein Haus in der heutigen Brahe-Straße und brachte 1858 Zwillingstöchter zur Welt, von denen eine tot geboren wurde. Eine Woche später starb ihr Mann an der Ruhr. Zu dieser Zeit war es Frauen nicht gestattet, ein eigenes Unternehmen zu gründen, aber in einigen Fällen konnten sie aus sozialen Gründen eine Ausnahme erhalten. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich und ihr Baby Ida zu ernähren, beantragte Amalia 1859 die Erlaubnis, ein Unternehmen zu gründen, das feine Backwaren und Süßigkeiten herstellte, die sie Polkagrisar nannte, ein Zuckerstäbchen mit Pfefferminzgeschmack. Als die Erlaubnis erteilt wurde, begann Amalia Eriksson mit der Herstellung von Polkagris-Stangen, zunächst nur an Wochenenden und Feiertagen. Sie entwickelte ein Rezept, bei dem sie u. a. Zucker, Essig und Wasser mischte und erhitzte. Ein Teil wurde rot eingefärbt, wodurch der Teig, der sehr lange geknetet und gedehnt wurde, Streifen bekam. Ursprünglich war Amalia die einzige Herstellerin von Polkagrisar, aber als das Produkt immer beliebter wurde, folgten andere Bäcker in Gränna ihrem Beispiel.

Im Jahr 1997 wurde eine Bronzestatue der kleinen Frau am südlichen Ortseingang aufgestellt, in der Nähe des Hauses, wo ihre Produktion begann. Amalia Eriksson wurde 98 Jahre alt und hielt das Rezept für Polkagrisar bis zu ihrem Tod geheim. Ihre Tochter Ida Eriksson setzte die Herstellung von Polkagrisar bis 1945 fort.

Trotz aller Widrigkeiten im Leben gab Amalia Eriksson nicht auf. Sie ist ein typisches Beispiel für das Durchhaltevermögen, das Frauen entwickeln, wenn sie Wege finden müssen, um ihre Familien zu ernähren. Trotz aller Schwierigkeiten erfinden Frauen Wege, um ihre Situation zu verbessern, koste es, was es wolle.

Heute sind die Polkagrisar als das Markenzeichen von Gränna berühmt und haben der kleinen Stadt eine Touristenattraktion beschert, die vielen ein Einkommen verschafft. Amalias Erfindung wurde sogar in die Sammlung wichtiger schwedischer Erfindungen aus verschiedenen Epochen im Technischen Museum in Stockholm aufgenommen.

Amalia Eriksson schaffte es nicht nur, ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften und Wohlstand zu erreichen, sondern auch die Stadt Gränna und ihre Einwohner positiv zu beeinflussen, indem sie alle Widrigkeiten ihres Lebens überwand. Was für ein Glück, dass die Verwaltung ihr nicht die Erlaubnis verweigerte, ihr Geschäft zu eröffnen! Diese Geschichte ist nur eine von vielen, die man über Frauen erzählen könnte, die trotz aller Widrigkeiten Großes geleistet haben. Heute sind die Umstände für Unternehmerinnen günstiger, aber die patriarchalischen Vorurteile, die in unserer Kultur verankert sind, bestehen immer noch. Die Tatsache, dass Geschichten wie diese immer noch als etwas Besonderes erzählt werden, zeigt, dass die Welt immer noch eine Männerwelt ist. Wie könnten wird die Welt verändern, damit es eine Selbstverständlichkeit ist, dass jeder sich entfalten und seine Träume erfüllen kann?


 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Erste weibliche Bischöfin in der alt-katholischen Kirche

Schwerhörigkeit