Ich habe meine Kirche nicht verlassen. Meine Kirche hat mich verlassen.


Langsam wird mir bewusst, dass die Kirche, zu der ich gehöre und in der ich aufgewachsen bin, mit der ich mich mein ganzes Leben lang identifiziert habe, sich verändert hat. Sie ist nicht mehr die Kirche, der ich bei meiner Taufe vor 60 Jahren beigetreten bin. Früher habe ich Veränderung als etwas Positives betrachtet, das mit Fortschritt verbunden war. Aber der Wandel, den ich in den letzten Jahren in meiner Kirche erlebt habe, ist alles andere als fortschrittlich.

Als ich jung war, wurden Adventisten in meinem Teil der Welt als Sekte betrachtet. Wir haben uns viel Mühe gegeben, um als eine der vielen christlich-protestantischen Konfessionen respektiert zu werden. Dann wurden wir eine Kirche. Aber ich habe den Eindruck, dass die Adventisten die Uhr zurückdrehen und wieder sektenhafter werden.

Eine Definition einer Sekte, nennt als typische Eigenschaft die Exklusivität. Die Mitglieder halten sich für auserwählt und aus dem Rest der Welt herausgerufen. Sie verkünden oft einen besonderen, engen, Weg zur Erlösung und absoluten Gehorsam gegenüber einem charismatischen (oder manchmal despotischen) Führer.

Das klingt sehr nach all dem Gerede über die Übrigen und die Forderungen nach Konformität mit der Organisation, die wir in letzter Zeit in unserer Kirche hören. Wenn die Kirchenleitung die Delegierten dazu bringt, für Verfahren zur Bestrafung von leitenden Kollegen zu stimmen, die nach ihrer Überzeugung und ihrem Gewissen handeln, sind sie sicherlich auf dem Weg zu autokratischem Sektierertum.

Eine unbewegliche Bewegung?

Die Kirche, die ich in meiner Jugend kannte, war eine Bewegung, bei der ich stolz war, ihr anzugehören. Obwohl es damals auch Dinge in meiner Kirche gab, über die ich besorgt war, fühlte es sich gut und vernünftig an. (Oder vielleicht lässt mein Gedächtnis nach.)

 Aber wenn ich heute über meine Ortsgemeinde (mit all ihren Problemen) hinaus auf das schaue, was in Silver Spring (oder auch in San Antonio oder St. Louis) geschieht, bin ich erschrocken. Nun befindet sich die Bewegung, die zur Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten wurde, in einer Phase, in der sich nichts bewegt. Alles wird in Stein gemeißelt. Die Personen an der Spitze der Kirchenverwaltung, die wahrscheinlich von extrem konservativen Gruppen beeinflusst und unter Druck gesetzt werden, um anderen ihre Auslegung der Bibel aufzuzwingen, zementieren eine unbewegliche Kirche. Das entspricht nicht der Welt in der wir leben: die Welt verändert such und braucht dynamische Antworten, keine unbeweglichen. Mir scheint, dass die Kirche weit entfernt ist von dem lebendigen Glauben der Gründer dieser Kirche, die bereit waren, die Heilige Schrift als den Leitfaden für ihren Glauben zu erforschen.

Als ich getauft wurde, erhielt ich ein kleines Büchlein mit einer kurzen Liste unserer Glaubensüberzeugungen, wobei meine Taufurkunde auf die erste Seite eingeklebt war. Ich gelobte Treue zu diesen Überzeugungen, und niemand hat mich je gebeten, den Rest der inzwischen 28 Grundüberzeugungen zu unterschreiben.

Die frühen Adventisten

Kürzlich habe ich das Buch von George Knight Adventist Authority Wars (das ich allen, die ihre Kirche lieben, empfehlen möchte) über die adventistischen Autoritätskriege erneut gelesen. Er zitiert John Loughborough, dessen Worte unheimlich prophetisch klingen:

Der erste Schritt zum Glaubensabfall besteht darin, ein Glaubensbekenntnis aufzustellen, das uns sagt, was wir glauben sollen.

Der zweite ist, dieses Glaubensbekenntnis zu einem Test für die Mitgliedschaft zu machen.

Der dritte ist, die Mitglieder nach diesem Glaubensbekenntnis zu prüfen.

Viertens werden diejenigen, die nicht an dieses Glaubensbekenntnis glauben, als Ketzer verurteilt.

Und der fünfte Schritt ist, mit der Verfolgung gegen solche zu beginnen.

Wenn die Kirche an dem ‘festhalten‘ will, was sie hat, sollte sie sich auf die Offenheit in ihrer Anfangszeit besinnen. Sie gab Frauen eine Stimme in einer Zeit, in der die Gesellschaft die Rolle der Frau einschränkte. Sie setzte sich für die Abschaffung der Sklaverei ein. Sie setzte sich für soziale Maßnahmen und Gesundheitsreformen ein.

Anstelle dessen, sagte der Präsident der Generalkonferenz am 7. Juni 2022: “Wir sollten uns nicht so sehr in Themen verstricken, in die sich die Welt verstrickt hat, in soziale Aktionen ... wir sollten uns nicht so sehr in all diese Dinge verstricken, dass wir die Gelegenheit verpassen, Menschen zum Fuß des Kreuzes zu bringen. Das ist unser Auftrag in der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten.“ Solche Äußerungen stehen im Widerspruch zu all den innovativen Missionsprojekten, mit denen die Kirche versucht, über ihre Einflusszentren kirchenferne Menschen zu erreichen.

Mit Interesse habe ich auch die Bücher von Michael W. Campbell, 1919 und 1922, gelesen, in denen er den Aufstieg des Fundamentalismus in der evangelikalen und adventistischen Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts erklärt. Das führte mich zum Buch von Kristin Kobes du Mez Jesus and John Wayne: How White Evangelicals Corrupted a Faith and Fractured a Nation (Jesus und John Wayne: Wie weiße Evangelikale einen Glauben verdarben und eine Nation zerbrachen), in dem sie detailliert beschreibt, wie sich die evangelikalen Kirchen einem maskulinen Christentum und dem Patriarchat zuwandten. Beth Allison Barrs Buch The Making of Biblical Womanhood: How the Subjugation of Women became Gospel truth zeigt, dass der Trend zu mehr Patriarchat nicht biblisch ist. Was Menschen am rechten Rand des Spektrums heute für die Wahrheiten halten, an denen wir festhalten sollten, ist nicht das, was Gott in seiner Kirche zum Ausdruck bringen wollte. Diese Bücher haben mir die Augen geöffnet über das was in der religiösen Welt, besonders in Nordamerika, geschieht.

Die Frage der Frauenordination bei den STA ist immer noch nicht geklärt. Auf der Generalkonferenz von 1881 stimmten die Delegierten für eine Resolution, dass es angemessen sei, “Frauen, die die notwendigen Qualifikationen besitzen, ... durch Ordination in das Werk des christlichen Predigtamtes einzusetzen.“ Das ist etwas, woran wir festhalten sollten! Es hat Stimmen gegeben, die sagten, die Kirche sei noch nicht bereit für die Ordination von Frauen. Im Jahr 1881 war sie bereit. Ist sie heute immer noch nicht bereit?

Wir müssen wachsam sein. Die Bücher, die ich oben erwähnt habe, Jesus and John Wayne und The Making of Biblical Womanhood, zeigen, wie nur wenige Menschen die Richtung der Kirchen und der Christenheit im Allgemeinen ändern können. Wir sehen Anzeichen dafür, dass unsere Kirche in die gleiche starre, kontrollierende Richtung geführt wird. Wie Simone de Beauvoir sagte,

“Vergessen Sie nie, dass es nur einer politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Krise bedarf, damit die Rechte der Frauen in Frage gestellt werden.“

Warum einer Kirche dienen?

Mein Großvater wurde nach einer Evangelisation im Jahr 1921 Adventist. Er machte sich Notizen zu allen Bibeltexten, die der Evangelist verwendete, und prüfte zu Hause alles nach. Er las die Bibel in drei Monaten durch und kam zu dem Schluss, dass der Evangelist die biblische Wahrheit gepredigt hatte. Seine Entscheidung, sich zusammen mit seiner ganzen Familie, einschließlich meines 11-jährigen Vaters, taufen zu lassen, änderte den Lauf ihres Lebens und führte zu einer lebenslangen Treue zu seinem neu gefundenen Glauben und seiner Kirche.

Der Taufspruch meines Vaters lautete 2 Tim 3: 14+15 Lu17 “Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut ist; du weißt ja, von wem du gelernt hast und dass du von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die dich unterweisen können zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus.“ Diese Überzeugung gab er an alle seine Kinder weiter.

Mein Vater verteidigte seinen Glauben bis zu seinem Tod und erinnerte sich daran, von wem er gelernt hatte und was seine Lehrer im (alten) Newbold gelehrt hatten. Wenn wir zu Hause über Gemeindeangelegenheiten und die Leitung der Kirche diskutierten, erinnerte er uns immer daran, dass dies Gottes Gemeinde sei und richtig sein müsse.  Ich fühlte mich nie gezwungen, den Glauben meiner Eltern anzunehmen, aber ihr Beispiel der Loyalität war stark und überzeugend.

Als Familie eines leitenden Mitarbeiters der Kirche wussten wir, was in der weltweiten Kirche vor sich ging, auch Dinge, die nicht so positiv waren. Wir sahen finanzielle Korruption und Misswirtschaft ebenso wie Vetternwirtschaft. Aber wir dienten. Nicht alles war gut in der guten alten Zeit, aber es fühlte sich besser an als jetzt.

Desillusionierung

Jetzt bin ich so desillusioniert von dem, was aus dieser Kirche geworden ist, dass ich mich fragen muss: “War mein lebenslanger Dienst umsonst?“ Ich wollte Gott dienen. Warum verursacht meine Kirche eine solche Frustration bei mir? Das Motto der 61. Generalkonferenz lautete: “Jesus kommt. Engagiere dich.“ Aber ich zögere, mich zu engagieren in der Kirche so wie sie jetzt ist.

Ich muss mich daran erinnern, dass die Kirche nicht nur die Generalkonferenz ist. Von dort gibt es keine positiven Veränderungen. Keine Erneuerung. Keine Reformation. Jener Teil der Kirche hält nur fest an der starren, einschränkenden Form des Adventismus. Die Generalkonferenz scheint zurückzublicken, anstatt nach vorne zu schauen, was die Welt heute braucht, um relevant zu sein.

Die Generalkonferenz lebt in einer eigenen Seifenblase: die Führung scheint die Ortsgemeinden nicht zu verstehen, und Gemeindeglieder scheinen die Entscheidungen der Leitung nicht als hilfreich und relevant zu empfinden.

 So frage ich mich, wo die Kirche, wie wir sie kannten, geblieben ist. Ich habe die Kirche nicht verlassen. Die Kirche hat mich verlassen. Aber ich vertraue immer noch darauf, dass Gott sich um seine Kinder kümmert. Ich werde Gott nicht aufgeben. Alle Gebete, die gesprochen wurden, werden ihre Wirkung zeigen. Wir täten gut daran, uns an Gamaliels Worte in Apostelgeschichte 5:38+39 zu erinnern: “Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird’s untergehen; ist’s aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten – damit ihr nicht dasteht als solche, die gegen Gott streiten wollen.“ Ich möchte auf der Seite Gottes stehen. Und ich möchte auch, dass meine Kirche dort steht.


 

Dieser Blog wurde am 17. November 2022 bei Adventist Today veröffentlicht.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Erste weibliche Bischöfin in der alt-katholischen Kirche

Schwerhörigkeit