Heldinnen der Frauenbewegung


Am Vorabend des Rosch Haschana 5781 (18.09.2020) verstarb Ruth Bader Ginsburg an den Folgen ihrer Krebserkrankung im Alter von 87 Jahren. Dieser unermüdlichen und unerschrockenen Kämpferin für das Recht haben amerikanische Frauen viel zu verdanken. Ruth Bader Ginsburg, oder RBG, wie sie genannt wurde, diente bis zu ihrem Tod 27 Jahre als Richterin am obersten Gericht der USA.

Bei uns in Europa war diese Powerfrau nicht so bekannt, aber für viele junge Frauen in den USA war sie ein Leitstern, der ihnen den Weg wies. Als Tochter von jüdischen Einwanderern war ihr Weg aus einfachen Verhältnissen zum Obersten Gericht erstaunlich. RBG setzte sich für die Rechte der Frauen ein, selbstbestimmt zu leben. Zu einer Zeit, in der Frauen auch in den USA viele Wege verschlossen waren, trat sie als Anwältin für die Gleichbehandlung von Männer und Frauen ein.  Aber im Endeffekt ging es ihr immer darum, dass beide Geschlechter gleich behandelt werden sollten. Sie verlangte auch für Frauen keine Sonderstellung, nur Gerechtigkeit. Keiner sollte aufgrund von alten Rollenvorstellungen diskriminiert werden. 

Laut einer alten jüdischen Tradition werden diejenigen, die direkt vor dem jüdischen Jahreswechsel sterben als „Tzaddik“  (die Gerechten) bezeichnet. Dass Ruth Bader Ginsburg starb, als der Feiertag Rosch Haschana mit dem Sonnenuntergang begann, verleiht ihrem Leben noch eine weitere Bedeutung. Gott hielt sie am Leben bis zum letzten Augenblick, weil sie als gerechte Richterin gebraucht wurde.




Foto: Yasin Ozturk/Anadolu Agency via Getty Images

Auch in Deutschland haben wir eine Ikone im Kampf um Frauenrechte, die leider nicht mehr so bekannt ist. Elisabeth Selbert, geborene Martha Elisabeth Rohde (* 22. September 1896; † 9. Juni 1986), war eine deutsche Politikerin und Juristin. Als SPD-Abgeordnete im Parlamentarischen Rat 1948/49 war sie eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“. Die Aufnahme der Gleichberechtigung in den Grundrechteteil der bundesdeutschen Verfassung ist zum großen Teil ihr Verdienst.[1]

Elisabeth Selbert war eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. 1920 heiratete sie Adam Selbert und bekam kurz nacheinander zwei Kinder. Trotz der Doppelbelastung arbeitete sie weiter im Telegrafenamt, sorgte für die Kindererziehung und nahm sich Zeit für ihre politische Tätigkeit. Sie stellte aber fest, dass ihr dafür oft die theoretischen Grundlagen fehlten, und hoffte, dass eine juristische Ausbildung helfen würde, politisch effizienter wirken zu können. Im Selbststudium holte sie 1925 das Abitur nach. Danach studierte sie zunächst an der Universität Marburg als einzige Frau und später in Göttingen als eine von fünf Frauen Rechts- und Staatswissenschaften. Nach nur sechs Semestern schloss sie ihr Studium mit Auszeichnung ab. Elisabeth Selbert promovierte 1930 mit dem Thema Ehezerrüttung als Scheidungsgrund. Ihr wichtigstes Thema blieb jedoch die Gleichberechtigung. Im Oktober 1920 ging sie als Delegierte zur ersten Reichsfrauenkonferenz nach Kassel und kritisierte „dass wir zwar heute die Gleichberechtigung für unsere Frauen haben, dass aber diese Gleichberechtigung immer noch eine rein papierne ist.“ Zwar war ein Jahr zuvor in der Weimarer Verfassung festgeschrieben worden, dass Männer und Frauen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte haben. Die Lebenswirklichkeit der meisten Frauen sah aber anders aus.

Die Nationalsozialisten versuchten, Frauen vollständig aus allen juristischen Berufen zu drängen. Trotzdem konnte Elisabeth Selbert 1934 ihre anwaltliche Praxis eröffnen. Da ihr Mann durch politische Verfolgung bis 1945 erwerbslos blieb, ernährte sie die Familie allein. Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft war Elisabeth Selbert eine von vier Frauen unter den 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates die das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeiteten. Mithilfe damaliger Frauenrechtsorganisationen und anderer Abgeordneter konnte Elisabeth Selbert – nach mehreren gescheiterten Abstimmungen – schließlich den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3 GG) durchsetzen. Dadurch mussten viele der damaligen familienrechtlichen Bestimmungen (die aus dem Jahr 1896 stammten) im Bürgerlichen Gesetzbuch ebenfalls überarbeitet werden, da sie diesem Grundsatz widersprachen. Es dauerte aber  lange, bis das Gleichberechtigungsgesetz 1957 verabschiedet wurde.

Ende der 1950er-Jahre zog sich Selbert aus der Politik zurück und geriet beinahe in Vergessenheit. Sie arbeitete wieder als Rechtsanwältin in ihrer auf Familienrecht spezialisierten Kanzlei in Kassel, die sie noch bis zu ihrem 85. Lebensjahr betrieb.

Wie dankbar können wir sein, dass es Frauen gab und gibt, die sich für die Gleichberechtigung einsetzen. Sie haben dafür unermüdlich gekämpft, ohne sich entmutigen zu lassen. „So oft im Leben erweisen sich Dinge, die man als Hindernis betrachtet, als großes Glück“, sagte Ruth Bader Ginsburg, und ließ sich nicht davon abhalten, über Hindernisse zu steigen.

Für RBG waren Frauen als Entscheidungsträger überall wichtig: „Frauen gehören überall dort hin, wo Entscheidungen getroffen werden. Es darf nicht sein, dass das die Ausnahme ist.“ Ich hoffe, dass unsere Töchter und Enkelinnen dafür sorgen werden, dass diese Aussage Wirklichkeit wird.

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Heroines of the Women's Movement

 

On the eve of Rosh Haschana 5781 (18.09.2020) Ruth Bader Ginsburg died of cancer at the age of 87. American women owe much to this tireless and intrepid fighter for justice. Ruth Bader Ginsburg, or RBG, as she was known, served as a justice on the U.S. Supreme Court for 27 years until her death.

Here in Europe this powerful woman was not so well known, but for many young women in the USA she was a guiding star who showed them the way. As the daughter of Jewish immigrants, her way from humble circumstances to the Supreme Court was amazing. RBG stood up for the rights of women to live self-determined lives. At a time when many paths were closed to women even in the USA, she stood up as a lawyer for equal treatment of men and women.  But in the end she was always concerned that both sexes should be treated equally. She demanded no special status for women, only justice. No one should be discriminated against on the basis of old role concepts.

According to an old Jewish tradition, those who die just before the Jewish New Year are called "tzaddik" (the just). The fact that Ruth Bader Ginsburg died when the holiday Rosh Hashanah began at sunset gives her life yet another meaning. God kept her alive until the last moment because she was used as a fair-minded justice.

In Germany we also have an icon in the fight for women's rights, who unfortunately is not any more very  well known. Elisabeth Selbert, née Martha Elisabeth Rohde (* September 22, 1896; † June 9, 1986), was a German politician and lawyer. As a member of the Parliamentary Council in 1948/49, she was one of the four "Mothers of the Constitution. We have her to thank for he inclusion of equal rights in the Federal German Constitution.

Elisabeth Selbert was a woman far ahead of her time. In 1920 she married Adam Selbert and soon had two children. Despite the double burden, she continued to work in the telegraph office, cared for the upbringing of their children and took time for her political activities. She found, however, that she often lacked the theoretical foundations for this and hoped that studying law would help her to be more efficient in politics. In 1925, she prepared by herself to pass the examinations required for university studies. She then studied law and political science, first at the University of Marburg as the only woman and later in Göttingen as one of five women. After only six semesters, she completed her studies with distinction. Elisabeth Selbert received her doctorate in 1930 with a dissertation on the subject of marital breakdown as a reason for divorce. Her most important topic, however, remained equality. In October 1920, she went to Kassel as a delegate to the First Reich Women's Conference and criticized "that although we have equal rights for our women today, this equality is still only on paper.“ Although it had been stipulated in the Weimar Constitution a year earlier that men and women have the same civil rights, the reality of life for most women was different.

The National Socialists attempted to push women completely out of all legal professions. Nevertheless, Elisabeth Selbert was able to open her own legal practice in 1934. Since her husband remained unemployed until 1945 due to political persecution, she was the sole bread-winner for the family. After the collapse of Nazi rule, Elisabeth Selbert was one of four women among the 65 members of the Parliamentary Council that drafted the Constitution for the Federal Republic of Germany. With the help of women's rights organizations and other members of parliament of the time, Elisabeth Selbert was finally able - after several failed votes - to push through the sentence "Men and women have equal rights" (Article 3 GG). As a result, many of the family law provisions of the time (which dated from 1896) in the Civil Code also had to be revised, as they contradicted this principle. However, it took a long time before the Equal Rights Act was passed in 1957.

At the end of the 1950s, Selbert withdrew from politics and almost fell into oblivion. She worked again as an attorney in her law firm in Kassel, which specialized in family law and which she ran until she was 85 years old.

How grateful we can be that there were and are women who stand up for equal rights. They have fought tirelessly for this without letting themselves be discouraged. " So often in life, things that you regard as an impediment turn out to be great good fortune," said Ruth Bader Ginsburg, and did not allow herself to be discouraged from rising above obstacles.

For RBG, women were important as decision-makers everywhere: " Women belong in all places where decisions are being made. It shouldn't be that women are the exception." I hope that our daughters and granddaughters will make sure that this statement becomes reality.



[1] Wikipedia, Elisabeth Selbert

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