Der lange Kampf der Schweizer Frauen um ihre Rechte
Die Schweizer haben den Ruf,
langsam zu sein, und ich bin sicher, dass dies ein unfaires Vorurteil ist. Aber trotzdem dauert alles in der Schweiz
länger. Mit ihrer Basisdemokratie braucht es einfach mehr Zeit, um ein Ergebnis
zu bekommen. Traditionen sind wichtig, und es ist schwer, Änderungen
vorzunehmen.
Eine Schweizer Freundin brachte
mich in ihrem Auto zum Bahnhof in Zürich, und sie hatte das GPS-Gerät
eingeschaltet, um den Weg zu finden. Die tiefe männliche Stimme, die langsam im
Dialekt des Kantons Bern sprach, war keine große Hilfe, da sie die Kreuzungen
bereits passiert hatte, bevor die Anweisungen beendet waren. Nicht so nützlich,
aber eine amüsante Unterhaltung.
Die Frauen in der Schweiz haben
nicht lange gezögert, das Wahlrecht zu fordern, aber es hat mehr als 100 Jahre
unermüdlicher Arbeit gebraucht, um die Männer in der Schweiz davon zu
überzeugen, für das Frauenwahlrecht zu stimmen. Es ist nicht so einfach, Macht
und Privilegien aufzugeben. Am 7. Februar 1971 erhielten die Schweizer Frauen
endlich das aktive und passive Wahlrecht. Für die Hälfte der Bevölkerung begann
damit die Demokratie. Doch auch mit dem Wahlrecht wurde die Gleichberechtigung
der Frauen nicht automatisch verwirklicht. Heute blickt eine starke
Frauenbewegung in der Schweiz auf den langen Kampf zurück und organisiert
Aktionen zum Gedenken dessen.
Die Zürcher Frauen waren die
ersten, die 1898 das Wahlrecht forderten. Fünf Jahre später forderte der
Schweizerische Arbeiterinnenbund offiziell das aktive und passive Wahlrecht für
Frauen. Die Sozialistische Partei war die erste Partei, die sich ab 1904 für
die Sache der Frauen einsetzte. 1909 schlossen sich mehrere Vereine für das
Frauenstimmrecht zum Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht (SVF) zusammen.
1918 wurden im Nationalrat zwei Anträge eingereicht, die das Frauenstimmrecht
forderten. Sie wurden an den Bundesrat eingereicht, der sie dann in der
Schublade verschwinden ließ. 1929 reichte der SVF eine Petition bei der Bundeskanzlei
ein, die aber keine Wirkung zeigte. Während der Wirtschaftskrise der 1930er
Jahre wurden die Forderungen nach dem Frauenwahlrecht schwächer. Das
konservative Denken führte dazu, dass die Hausfrau zum Leitbild für die Rolle
der Frau wurde. Ein Bericht des Bundesrates kam 1951 zum Schluss, dass eine
eidgenössische Abstimmung über das Frauenstimmrecht verfrüht sei.
Mit dem Fortschreiten des Kalten
Krieges wollte die Regierung die Verpflichtung für Frauen zum Zivilschutzdienst
einführen. Mehrere Frauenorganisationen sprachen sich gemeinsam dagegen aus.
Wie konnte man Frauen zum Dienst verpflichten, wenn sie noch immer nicht das
Wahlrecht hatten? Das Vorhaben wurde in der Öffentlichkeit kontrovers
diskutiert und führte dazu, dass der Bundesrat 1957 einen Gesetzesentwurf zum
Frauenstimmrecht vorlegte. Wie immer dauerte es seine Zeit, denn beide
Parlamentskammern mussten der Vorlage zustimmen. Schließlich stimmten die
Schweizer Männer am 1. Februar 1959 mit deutlicher Mehrheit gegen die
Einführung eines nationalen Frauenstimm- und Wahlrechts. Es waren also die
männlichen Bürger, die ihre Macht nicht teilen wollten und damit ihren Müttern,
Schwestern, Ehefrauen und Töchtern demokratische Rechte verwehrten.
Als der Bundesrat 1968 erwog, die
Europäische Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen, ohne die Klausel über
die politischen Rechte der Frauen zu akzeptieren, kam es zu massiven Protesten
von Frauenverbänden. Dies führte dazu, dass die Schweizer Regierung am 7.
Februar 1971 eine neue Abstimmung über das Frauenstimmrecht organisierte, die
den Frauen endlich das Wahlrecht gab. Zu Beginn der Wintersession 1971 nahmen
die ersten elf weiblichen Abgeordneten ihre Plätze ein und wurden jeweils mit
einer Rose begrüßt. Allerdings waren diese gewählten Frauen einem starken Druck
ausgesetzt, sich einer von Männern geschmiedeten Bundespolitik anzupassen.
Einige dieser weiblichen Abgeordneten setzten sich aktiv für ihre Bürgerrechte
ein; alle zeigten eine enorme Entschlossenheit in ihrer Laufbahn. In der Tat
waren diese Frauen Pionierinnen in so ziemlich jedem Bereich, in dem sie tätig
waren, sei es beruflich oder politisch. Die Frauen hatten 50 Jahre lang für
dieses Ziel demonstriert und gearbeitet. Vielleicht lag der Grund für das
positive Ergebnis darin, dass es der Nation einfach zu peinlich war, Frauen
dieses Recht zu verweigern. Allerdings mussten die Frauen im Kanton Appenzell
noch 20 Jahre warten, bis sie wählen durften.
Im Gegensatz zu den meisten anderen
europäischen Ländern haben viele der heute in der Schweiz lebenden Frauen die
Einführung des Frauenwahlrechts 1971 selber erlebt oder sogar dafür gekämpft.
Den Frauen in der Schweiz ist es heute peinlich, dass es so lange gedauert hat,
bis die Frauen an der Demokratie teilhaben durften. Wie werden sie ihren Enkelinnen
erzählen, dass es in der Schweiz kein Wahlrecht gab, als sie in ihrem Alter
waren?
Was bringt es also, wenn Frauen
mehr Macht haben? Mehr als eine grundlegende Gesetzesbestimmung hätte ohne den
Einzug von Parlamentarierinnen nie das Licht der Welt erblickt. Vielfalt erweitert
den Blick, und Frauen erkennen und benennen Schwachstellen in Gesetzesvorhaben.
Frauen in der Schweizer Politik haben bewirkt, dass Gesetze, die Frauen
betreffen, revidiert wurden: Mutterschutz, mehr Lohngleichheit, Revision des
Eherechts. Sie haben aber noch einen langen Weg vor sich. Die Politik in der
Schweiz ist immer noch sehr stark in männlicher Hand und Frauen müssen dafür
kämpfen, dass sich mehr Frauen einbringen. Die Diskriminierung ist oft indirekt
und unbewusst, sie basiert auf alten Geschlechterstereotypen, die die Kultur
durchdringen.
Am 14. Juni 2019 gingen Frauen
wieder in einem Frauenstreik auf die Straße und demonstrierten für mehr
Gleichberechtigung und gegen Missbrauch. Die Frauen in der Schweiz sind sich bewusst,
dass es noch viel mehr zu tun gibt und dass die Gleichstellung der Geschlechter
nur durch fortgesetzten Aktivismus erreicht werden kann. Schon Emilie Gourd[1]
erklärte: „Ohne die Emanzipation der
Frauen ist der Begriff der Demokratie nur Heuchelei und Lüge.“ „Mit dem
Frauenstimmrecht wurde die Grundlage für eine Demokratie geschaffen, in der
Frauen und Männer die gleichen Chancen haben und gemeinsam Verantwortung
übernehmen. Es war daher nicht nur eine demokratie-politische, sondern auch
eine gesellschaftspolitische Errungenschaft.“ So Karin Keller-Sutter,
Bundesrätin, Vorsteherin des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements.
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