Wie ich Feminismus verstehe (4) Der Ursprung des Patriarchats und die Kirchen heute
Das
Patriarchat ist ein soziales System, in dem die Gesellschaft von männlichen
Autoritätsfiguren geprägt ist. In diesem System haben Väter und Brüder
Autorität über Frauen, Kinder und Eigentum. Es geht dabei um männliche
Herrschaft und Privilegien und beruht auf der Unterordnung der Frauen. Im
Feminismus betrachtet man das Patriarchat als ein ungerechtes soziales System, das Frauen unterdrückt.
Die Geschichte
zeigt uns, dass Frauen in einem patriarchalen Gesellschaftssystem gelebt haben,
solange wir denken können. Die Frauenbewegung entstand, weil Frauen sich
weigerten, weiterhin in einem System zu leben, in der sie nicht ihre eigenen
Entscheidungen treffen konnten. Ich bin sicher, dass wir nicht in einer Welt
leben möchten, in der Frauen total von Männern abhängig sind, weil sie keine
anderen finanziellen Alternativen haben. Wir wissen um die Ungerechtigkeit, die
den Frauen über Hunderte und Tausende von Jahren zugefügt wurde.
Beth Allison
Barr hat kürzlich ihr Buch veröffentlicht: The
Making of Biblical Womanhood (Die Entstehung des Biblischen Frauseins)[1],
in dem sie als Historikerin des Mittelalters zeigt, wo das Patriarchat seinen
Ursprung hat. Es ist eine interessante und informative Lektüre. Barr kommt zu
dem Schluss, dass das, was die Kirchen über das “Biblische Frausein” lehren, in
Wirklichkeit gar nicht biblisch ist. Ich werde einige ihrer Argumente und
Erklärungen zum Patriarchat aufgreifen. Für viele von uns in Europa klingt der
Begriff "Biblisches Frausein" nicht so, wie er in den USA klingen
würde. Wir werden normalerweise nicht mit dieser Terminologie konfrontiert.
Allerdings begegnen wir der ihr zugrunde liegenden Theologie in vielen unserer
konservativen Kirchen. Viele evangelikale Kirchen (zumindest in den USA) haben
das Rad zurückgedreht und Frauen wieder unter männlich-patriarchalische
Herrschaft gestellt. All der Fortschritt bei Frauenrechten wird bei dem
verworfen, was sie als biblisches Frausein darstellen, wo Frauen sich den
Männern unterwerfen. Sie haben dies sogar zu einem Test des Glaubens und des wahren
Christentums gemacht. Barr sagt es in ihrem Untertitel:
How the Subjugation of Women Became Gospel Truth (Wie die Unterwerfung der Frau zur Evangeliumswahrheit
gemacht wurde). Die Botschaft der Bibel wurde gekapert und verdreht.
Ich habe immer
verstanden, dass das Patriarchat durch die Texte in 1 Mose 3 erklärt wird, wo
Gott Eva die Konsequenzen ihres Ungehorsams aufzeigt. Gottes Plan für Männer
und Frauen als gleichwertige Partner, zum Bilde Gottes geschaffen, wurde beim
Sündenfall verzerrt, worauf der Mann die Herrschaft über die Frau übernahm.
Die
Befürworter des “Male Headship” (Mann als Haupt) und des “Biblical Womanhood”
(Biblisches Frausein) - des Patriarchats - sind noch einen Schritt weiter
gegangen. Sie behaupten, dass das Patriarchat bereits zu Beginn der Schöpfung
eingerichtet wurde, als Gott eine göttliche Ordnung schuf, in der die Männer
über ihre Frauen herrschen. Daraus leiten sie, dass Männern Autorität über
Frauen gegeben wurde, nicht nur im Haus, sondern auch in der Gemeinde. Nach
dieser Auslegung gibt die Bibel den Männern die führende Rolle. Männer führen.
Frauen folgen. Das sagt uns die Bibel. Das Patriarchat ist der Wille Gottes.
Punkt.
Barr sagt,
dass es die Hierarchie der Geschlechter, in der Frauen unter den Männern
rangieren, in fast jeder Epoche und bei jeder Volksgruppe gegeben hat. Wenn die
Kirche Frauen verbietet, zu predigen, zu leiten, zu lehren und manchmal sogar
außerhalb des Hauses zu arbeiten, setzt die Kirche eine lange historische
Tradition der Unterdrückung von Frauen fort. Das ist Patriarchat, auch wenn es
heute Komplementarismus (Mann und Frau ergänzen einander durch ihre unterschiedlichen
Rollen) genannt wird. Das Patriarchat mit irgendeinem anderen Namen zu
bezeichnen, ist immer noch Patriarchat. Komplementaristen geben zu, dass Gott
sowohl Frauen als auch Männer nach seinem Ebenbild als gleichwertig geschaffen
hat, aber sie fügen hinzu, dass sie unterschiedliche, ungleiche, Rollen haben.
In ihrem Buch
erzählt Barr von einem Fall, in dem ein männlicher Student einen Job brauchte
und sich um eine Teilzeitstelle als Sekretär im Kirchenbüro bewarb. Ihm wurde
gesagt, dass dies die Arbeit einer Frau sei und man nicht von ihm erwarten
könne, dass er all die niederen Aufgaben, die mit dem Job verbunden sind,
erledigt. Es war die Rolle einer Frau, die offensichtlich von geringerem Wert
war, als die Aufgabe eines Mannes. Das Patriarchat hat den Wert der Arbeit der
Frau herabgesetzt und auch zu ungleicher Bezahlung geführt. Der Student bekam
den Job nicht.
Evangelikale
Christen schreiben heute, wie Mohler, derzeitiger Präsident des Southern
Baptist Theological Seminary in Louisville, Kentucky, dass es eine
"unbestreitbare historische Realität ist, dass Männer in
Führungspositionen vorherrschend waren und dass die Rollen der Frauen
weitgehend um Haus, Kinder und Familie herum definiert wurden. "...
"Die Geschichte bestätigt, was die Bibel ohne Zweifel offenbart, nämlich
dass Gott die Menschen nach seinem Ebenbild als männlich und weiblich
geschaffen hat... Wir verstehen die Bibel so, dass sie ein wunderschönes Bild
der Komplementarität zwischen den Geschlechtern zeichnet, in dem sowohl Männer
als auch Frauen dazu berufen sind, Gottes Herrlichkeit auf unterschiedliche
Weise zu reflektieren." So wie die Frauen zu Urzeiten Haus und Familie
gehütet und die Männer unterstützt haben, würden sie es wahrscheinlich heute noch
tun, wenn es den störenden (und "unbiblischen") Einfluss des
Feminismus gäbe. Die Geschichte hat Mohler davon überzeugt, dass dieses Modell
Gottes Plan sei.
Das
Gilgamesch-Epos, einer der ältesten existierenden Texte, beschreibt das Leben,
wie es vor viertausend Jahren war. Frauen werden in unterwürfigen Rollen
dargestellt, gebraucht für Sex, Fortpflanzung, Haushalt und Versorgung der
Familie. Dies ist eine Darstellung des Patriarchats zu Beginn der Geschichte. Die
Befürworter des Patriarchats behaupten, dass Frauen weiterhin so sein sollten,
wie sie in der Vergangenheit waren: untergeordnet.
Barr stellt
diesen Ansatz in Frage. Das Patriarchat sieht richtig aus, weil es die
historische Praxis der Welt ist. Im alten Mesopotamien wurden Frauen wie Eigentum
behandelt. Sie hatten kaum Gelegenheit zur Bildung; sie wurden hauptsächlich
durch ihre Beziehungen zu Männern definiert; sie wurden als Ehefrauen rechtlich
entmachtet; sie waren gesetzlich genehmigter physischer Gewalt ausgesetzt; und
sie kamen in der historischen Erzählung selten zu Wort.
Sie schreibt:
"Das Patriarchat besteht immer noch. Sollten Christen, die dazu berufen
sind, anders zu sein als die Welt, Frauen nicht anders behandeln? Was wäre, wenn das Patriarchat nicht göttlich
verordnet, sondern eine Folge der menschlichen Sünde ist? Was wäre, wenn das
Patriarchat nicht bei der Schöpfung göttlich verordnet wurde, sondern die
Menschheit erst nach dem Sündenfall hineingeschlittert ist? Was wäre, wenn der
Grund für die so korrupten Folgen des Patriarchats, sogar innerhalb der
christlichen Kirche, darin liegt, dass das Patriarchat schon immer ein
korruptes System war? Anstatt anzunehmen, dass das Patriarchat von Gott
eingesetzt wurde, müssen wir fragen, ob das Patriarchat ein Produkt von sündiger
Menschenhand ist."
Die
Vulgata-Bibelübersetzung von 1. Mose 3,16 hat das Denken durch die Jahrhunderte
hindurch beeinflusst: "Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären, und du
sollst unter der Gewalt deines Mannes sein, und er soll über dich
herrschen." Dies hat zu einem Patriarchat geführt, das der ursprünglichen
Absicht Gottes in der Schöpfung widerspricht. Das Patriarchat war nicht das,
was Gott wollte; das Patriarchat war eine Folge der menschlichen Sünde. Vor dem
Sündenfall unterwarfen sich sowohl Adam als auch Eva der Autorität Gottes. Nach
dem Fall, aufgrund der Sünde, würden sich die Frauen nun zuerst an ihre Männer
wenden, und ihre Ehemänner würden anstelle von Gott über sie herrschen.
Kristin Kobes
Du Mez schreibt:
"Die
männliche Autorität über die Frauen widersprach dem Willen Gottes und setzte
die ursprüngliche Rebellion des Menschen gegen Gott fort." Frauen begingen
also "weiterhin die Sünde Evas, wenn sie sich den Männern unterwarfen,
anstatt sich Gott zu unterwerfen." Adams Rebellion bestand darin, Gottes
Autorität für sich zu beanspruchen, und Evas Rebellion bestand darin, sich Adam
anstelle von Gott zu unterwerfen."[2]
In seinem Buch
"The Book of Eden"[3]
schreibt Bruce C. E. Fleming über die Doktorarbeit seiner Frau Joy, in der sie
die ursprüngliche Bedeutung des Textes von 1 Mose 2 und 3 erforschte. Die
gängigen Interpretationen von 1. Mose 3,16 haben sich im Laufe der Jahrhunderte
negativ auf unzählige Leben ausgewirkt. Die Vorstellung, dass Gott die Frau im
Garten Eden verfluchte, ist zur Grundlage für das Patriarchat und die
Unterdrückung der Frau geworden. Eine genaue Lektüre zeigt jedoch, dass Gott
nur die Schlange und den Boden verfluchte. Adam sollte bei der Bearbeitung des
Bodens mühselige Arbeit (itsabon) haben, und dasselbe (itsabon) würde auch für
Eva gelten. Zusätzlich würde sie das Privileg haben, Kinder zu gebären, wobei
Gott ihre Schwangerschaften vermehrt. Dr. Joy Fleming deckte eine sehr komplexe
Struktur von 1 Mose 2 und 3 auf, die einen literarischen Chiasmus enthält.
Dieses kleine Buch ist eine sehr interessante Lektüre, die ich gerne empfehlen
möchte.
Eine korrekte
Übersetzung von 1. Mose 3,16 würde nach Fleming wie folgt lauten:
Ich will eure mühselige Arbeit vermehren
in der Feldarbeit und eurer Empfängnis.
Mit Mühe wirst du Kinder gebären.
Dein (liebevolles) Verlangen (ist) zu deinem Mann.
Aber er (herrscht rebellisch über sich selbst und)
wird über dich herrschen.
Bruce Fleming
schreibt: "Nur Gott hatte die Autorität über Adam und Eva. Keiner von
beiden hatte das Recht, Gottes Herrschaftsrechte über den anderen an sich zu
reißen. Jede Lehre, die eine Autoritätsstruktur zwischen Adam und Eva in Gottes
Schöpfungsentwurf einfügt, ist entschieden abzulehnen, da sie nicht auf dem
biblischen Text beruht."
Die
Bibelstelle beschreibt, was geschehen wird. Sie bedeutet nicht, dass Gott die
Herrschaft des Mannes über die Frau oder das, was als Patriarchat bezeichnet
wird, eingeführt hat. Patriarchat wird mit systemischer Unterdrückung
assoziiert, und das war das vorherrschende Modell in der ganzen Geschichte.
Die Urgemeinde
versuchte, ihren Platz in einer jüdisch-römischen Welt zu finden, und dies trug
auch dazu bei, wie die Kirche sich entwickelte. Aber das wird das Thema eines
anderen Blogs sein. Das Patriarchat existiert in der Bibel, weil die Bibel in
einer patriarchalischen Welt geschrieben wurde. Das Rad zum Patriarchat
zurückzudrehen bedeutet, das Christentum so wie die Welt zu gestalten, anstelle
so wie Jesus es wollte.
Barr
schlussfolgert: "Das Patriarchat mag ein Teil der christlichen Geschichte
sein, aber das macht es nicht christlich. Es zeigt uns nur die historischen
(und sehr menschlichen) Wurzeln des biblischen Frauseins." Das, was die
Kirchen biblisches Frausein ist gar nicht biblisch!
Aber warum
sollte ich mich mit etwas beschäftigen, das mich gar nicht betrifft? Für mich
ist, wie ich meine, das Patriarchat abgeschafft. Aber ist das wirklich der Fall?
Warum ist es Frauen in vielen Kirchen nicht erlaubt, ihre von Gott gegebenen
Gaben einzusetzen und ihrer Berufung entsprechend zu dienen? Warum werden
Frauen von Leitungspositionen ausgeschlossen? Warum werden weibliche Pastoren
respektlos behandelt? Warum werden den jungen Mädchen patriarchalische
Prinzipien gelehrt? Die Antwort ist klar: Das Patriarchat hat unsere Kultur und
unser Denken in einem viel größeren Maße verzerrt, als wir denken.
“Das
Geschlechtergefälle hat sich in der EU durch die Pandemie verschärft. Ihre
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen könnten sich auch langfristig
auf die Gleichstellung der Geschlechter auswirken. Sie gefährden die bisher
erzielten Fortschritte und könnten weltweit weitere 47 Millionen Frauen und
Mädchen in die Armut abrutschen lassen”[4].
Wenn dazu noch
konservative Kräfte in Kirchen versuchen, das Rad in Bezug auf Frauenrechte
zurückzudrehen, wird die Situation noch gefährlicher. In vielen evangelikalen
Kirchen in den USA ist es gelungen, Komplementarismus und Patriarchat zu einem Glaubensgrundsatz
zu machen. Wir müssen in unseren Gemeinden wachsam sein und das Evangelium der
Freiheit in Christus vor Angriffen schützen, die versuchen, die Unterwerfung
der Frau zu einem Glaubenspunkt zu machen. Ich möchte hier Simone de Beauvoir zitieren, die sagte, "Vergesst nie, dass er nur eine politische oder religiöse Krise braucht, um die Frauenrechte zu gefährden. Diese Rechte sollten nie als selbstverständlich genommen werden; wir müssen ein Leben lang wachsam bleiben."
Grafik:
Europäisches Parlament
[1] Barr,
Beth Allison, The Making of Biblical Womanhood: How the Subjugation of Women
Became Gospel Truth, Brazos Press, April 21, 2021
[2] Kristin
Du Mez, Jesus and John Wayne, LIVERIGHT
PUB CORP,June 23, 2020
[3] Fleming,
Bruce; Felming, Joy; Hagemeyer, Joanne, The
Book of Eden - Genesis 2-3: God Didn't Curse Eve (or Adam) or Limit Woman in
Any Way, Kindle, March 8, 2021
[4] https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/priorities/internationaler-frauentag-2021/20210225STO98702/auswirkungen-der-coronavirus-pandemie-auf-frauen-infografiken
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