Gehen oder Bleiben: Wie Frauen die Kirche verändern könne

Anmerkung des Herausgebers: Dies ist ein Top 15-Gewinner des CBE 2021 Schreibwettbewerbs!

Lange Zeit habe ich mich gefragt, ob ein Kirchenstreik durch Frauen die Männer dazu führen würde, Frauen anders wahrzunehmen. Schon alleine Idee würde wahrscheinlich viele Frauen schockieren, da sie es für sie fast eine Gotteslästerung wäre, in einem kirchlichen Rahmen für Gerechtigkeit und Gleichheit zu kämpfen. Schließlich ist Christus das Haupt der Kirche. Manche glauben, dass die kirchliche Organisation göttlich eingesetzt ist. Ich bin da anderer Meinung. Obwohl sie Gottes Kirche ist, wird sie von einfachen Menschen geleitet. Wenn die Kirchen dem Beispiel Christi folgen würden, wären sie viel egalitärer und würden die Gaben und die Beteiligung von Frauen respektieren, wie es die frühe Kirche tat. Die patriarchalen Strukturen sind von Menschen gemacht und nicht in einem göttlich inspirierten Buch mit Regeln vom Himmel gefallen.

Der Streik in Putney: Ein Bild der Einheit

Vor einiger Zeit stieß ich auf eine Kurzgeschichte von L.M. Montgomery (1874-1942) mit dem Titel "Der Streik in Putney."[1] Die "Women's Foreign Mission Auxiliary" (Hilfe für die Mission) der presbyterianischen Gemeinde von Putney hatte Frau Cotterell, eine zurückgekehrte Missionarin, als Rednerin eingeladen. Sie trafen Vorkehrungen, um die Veranstaltung im Gemeindesaal abzuhalten, da der Klassenraum für die erwartete Zuhörerschaft zu klein war. Als der Pastor und die Ältesten der Kirche von ihren Plänen erfuhren, "erklärten sie, dass keine Frau die Kanzel der Kirche von Putney besetzen sollte". Die Frauen waren empört und beriefen eine außerordentliche Versammlung der WFMA-Gruppe ein. Was sollten sie tun? Sie erkannten, dass es keinen Sinn hätte, die Männer überzeugen zu wollen. Nach einer langen Diskussion hatte eine junge Frau schließlich eine Lösung parat. "Ich denke", sagte sie, "dass wir streiken müssen".

"Am Sonntagmorgen stellten die Männer fest, dass die Kirche kahl und verwaist aussah... Nirgendwo waren Blumen zu sehen. ... Der Boden war nicht gefegt. ... Staub lag dick auf der Kanzel-Bibel." Die fünf Männer, die im Chor saßen, stellten fest, dass es weder Soprane noch Altstimmen gab. Die Organistin saß in ihrer Kirchenbank. Auf die Frage, ob sie spielen würde, antwortete sie: "Nein. ... Wissen Sie, wenn eine Frau nicht geeignet ist, in der Kirche zu sprechen, kann sie auch geeignet sein, in der Kirche zu singen." Die Sonntagsschule war ohne die Frauen ein Misserfolg. Die Frauen sagten alle ihre Aktivitäten ab.

"Die Männer hielten zwei Wochen lang durch." Schließlich verkündete der Pfarrer, dass Frau Cotterell "an dem Abend, der für ihre Ansprache vorgesehen war, die Kanzel besetzen könne". Die Frauen in der ganzen Kirche lächelten breit." Die Organistin "stand auf und ging an die Orgel". Gemeinsam klang der Gesang viel besser. "Der Streik in der Kirche von Putney war vorbei."

Besonders beeindruckt hat mich, dass sich alle Frauen in Putney über die Vorgehensweise einig waren - und wie sie ihren Protest durchzogen. Ich habe oft darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn die Frauen in meiner Kirche streiken würden. Ich fürchte, wir sind nicht einmütig genug, um zu handeln. Es ist ja nicht so, dass die Aufgaben, die normalerweise von Frauen getan werden, nicht auch von Männern erledigt werden könnten. Aber umgekehrt könnten Frauen viele der Aufgaben übernehmen, die traditionell von Männern wahrgenommen werden. Eine Kirche sollte sich als eine Einheit verstehen, in der sich alle als Kinder Gottes sehen, denen er Gaben gegeben hat. Wenn Frauen sich nicht freiwillig als Krankenschwestern, Buchhalterinnen, Sekretärinnen, Heimerzieherinnen, Autorinnen, Lehrerinnen, Leiterinnen von Bibelstudien, Kinderbibelschulen und Musikerinnen zur Verfügung stellen würden, wie lange würde die Kirche, wie wir sie heute kennen, noch bestehen?

Der freie Tag der Frau in Island: Ein Bild des Fortschritts

Vielleicht sollte ich meine Idee nicht als Frauenstreik bezeichnen, sondern - in Anlehnung an die Erfahrungen der Frauen in Island - als "Women's Day Off" – “den freien Tag der Frauen“. Mag sein.

Obwohl die Frauen in Island 1915 das Wahlrecht erhielten - und damit nur hinter Neuseeland und Finnland lagen - war die Beteiligung von Frauen an der Politik noch sechzig Jahre lang gering. Im Jahr 1975 gab es nur drei weibliche Parlamentsabgeordnete, und der Vergleich der Zahlen mit den anderen nordischen Ländern war sehr frustrierend. Es musste sich etwas ändern. Die Idee eines Streiks kam auf, aber viele Frauen hielten sie für zu drastisch. Als der Streik in Women's Day Off umbenannt wurde, erhielt er große Unterstützung von fast allen Frauen in Island.

Am 24. Oktober 1975 beschlossen 90 Prozent der Frauen des Landes zu zeigen, wie wichtig sie sind, indem sie sich weigerten, das zu tun, was sie normalerweise tun würden: zur Arbeit zu gehen, sich um ihre Kinder zu kümmern und die Hausarbeit zu erledigen. Stattdessen gingen sie zur Kundgebung für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. "Was an diesem Tag geschah, war der erste Schritt zur Emanzipation der Frauen in Island", sagte Vigdis Finnbogadottir, Islands erste Präsidentin. "Es hat das Land völlig lahmgelegt und vielen Männern die Augen geöffnet."

Geschäftslokale, Schulen und Kindergärten mussten schließen, und viele Väter mussten ihre Kinder zur Arbeit mitnehmen. Würstchen waren ausverkauft, da sie leicht zuzubereiten waren.

In einem Land mit etwa 220.000 Einwohnern kamen 25.000 Frauen in Reykjavik zusammen. Sie hörten Reden, sangen und sprachen darüber, wie sie die Lage der Frauen verändern könnten. Es herrschte ein Gefühl der Stärke und Solidarität unter denen, die auf dem Marktplatz standen.

Tatsächlich änderten sich die Dinge sehr schnell, als Vigdis Finnbogadottir 1980 zur Präsidentin von Island gewählt und damit die erste Frau der Welt war, die demokratisch zum Staatsoberhaupt gewählt wurde. Sie hatte dieses Amt sechzehn Jahre lang inne, und in dieser Zeit wurde Island zum feministischsten Land der Welt. Der Women's Day Off katapultierte die Nation zur Gleichberechtigung.[2]

Wenn Frauen sich zusammentun, haben sie Macht. In Island zeigte die überwältigende Zahl der Teilnehmerinnen am Women's Day Off den Männern des Landes, wie wichtig Frauen für ihre Familien, ihre Arbeit und die Gesellschaft im Allgemeinen sind. Es war ein Wendepunkt. Die Menschen erkannten, dass sie nur erfolgreich sein können, wenn sich alle gemeinsam für das Gemeinwohl einsetzen.

Maria 2.0: Ein Bild der Hingabe

Vor einiger Zeit beschloss ein Frauenlesekreis in einer katholischen Gemeinde in Deutschland mehr zu tun, als nur über die von ihnen gewünschten Veränderungen in ihrer Kirche zu reden. Während der jährlichen Maiandacht zur Heiligen Jungfrau Maria riefen sie zu einem einwöchigen Frauenstreik auf, bei dem sie keinen Fuß in die Kirche setzen wollten.[3] Sie hielten ihre eigenen Gottesdienste im Freien ab. Seit diesem Streik im Jahr 2019 ist die Maria 2.0-Bewegung gewachsen, an der sich Frauen in ganz Deutschland und sogar im benachbarten Ausland beteiligen.[4] Nach dem Streik schrieben die Frauen einen offenen Brief an Papst Franziskus, der von 42.349 Personen unterzeichnet wurde. Der Brief und die Unterschriften wurden am 25. Oktober 2019 dem Apostolischen Nuntius in Berlin überreicht. Eine Reaktion seitens der Kirche blieb bisher aus.

Eine der Gründerinnen von Maria 2.0, die Malerin Lisa Kötter, erinnert sich daran, wie sie als Kind in einem katholischen Kindergarten von der zuständigen Nonne mit einem Pflaster auf dem Mund bestraft wurde, weil sie während der obligatorischen Schweigezeit gesprochen hatte. Aus diesem Erlebnis heraus entstand das Symbol von Maria 2.0: die Madonna mit zugeklebtem Mund. Eine weitere Gründerin, Andrea Voss-Frick, ist der Meinung, dass sich die Kirche als moralische Instanz nach den vielen Missbrauchsfällen und Vertuschungen erneuern muss. Maria 2.0 fordert einen Neuanfang der katholischen Kirche, einschließlich der vollständigen Aufklärung aller Missbrauchsfälle und absoluter Geschlechtergerechtigkeit, bis hin zur Öffnung der Weiheämter für Frauen. Sie wollen, dass Frauen predigen dürfen, statt nur die Kerzenleuchter zu putzen.

Mehr als 500 Jahre nach Martin Luther hat Maria 2.0 am 21. Februar 2021 sieben neue Thesen an Kirchen- und Domtüren in ganz Deutschland angeschlagen.[5] Sie fordern unter anderem Gleichberechtigung von Mann und Frau, gemeinsame Verantwortung, respektvollen Umgang und Transparenz. Sie wünschten sich eine zukunftsfähige, vielfältige Kirche ohne Angst, in der die Gläubigen als Brüder und Schwestern gleich behandelt werden. Die Veröffentlichung der Thesen erfolgte rechtzeitig vor der Frühjahrssitzung der Bischofskonferenz und sorgte für ein großes Medienecho. Nun mussten auch die Bischöfe davon Notiz nehmen. Schweigen war nicht mehr möglich. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, forderte die Frauen auf, abzuwarten und Geduld mit der Kirche zu haben. Er sagte: "Die katholische Kirche ist eine Weltkirche. Die Kirche ist noch nicht so weit."

Es stellt sich die Frage: Kann die Reformation einer Kirche von innen heraus geschehen? Selbst Martin Luther wollte die Kirche reformieren, anstatt sie zu verlassen. Einige der Frauen haben das Gefühl, dass die Kirche darauf wartet, dass sie austreten, damit sie diese Störenfriede loswerden und weitermachen kann wie bisher. In dem Buch Schweigen war gestern: Maria 2.0 - Der Aufstand der Frauen in der katholischen Kirche[6] erklärt Lisa Kötter, warum sie in der Kirche bleiben und die Demonstration männlicher Macht ablehnen. Sie wollen eine Kirche, die auf Liebe basiert. Auch wenn sie Veränderungen fordern, wollen sie den Gläubigen, die an der traditionellen Kirche festhalten, nichts wegnehmen. Sie wollen etwas Gutes hinzufügen, um Christus wieder in den Mittelpunkt der Kirche zu stellen. Nicht lange nach Erscheinen des Buches im März 2021 traten einige der Gründungsmitglieder, darunter Lisa Kötter, aus der organisierten Kirche aus, weil sie keine Chance auf Veränderung sahen.[7]

Wie werden wir handeln?

In vielen Kirchen wollen Frauen die volle Gleichstellung, sind aber nicht bereit, den Kampf aufzunehmen. Es ist einfacher, aufzugeben und auszutreten. Bin ich bereit, meine Bequemlichkeit für meine Überzeugung zu riskieren? Bin ich bereit, meine Stimme zu erheben, um mich für die Gleichstellung der Frauen in meiner Kirche einzusetzen? Kann ich mehr tun als nur schreiben und reden? Einige, wie unsere katholischen Schwestern, verlassen ihre Kirche, weil sie keine Aussicht auf Reformen und Veränderungen sehen. Aber in der katholischen Kirche in Deutschland zeigt die öffentliche Empörung über den Umgang mit den vielen Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche Wirkung. Ich möchte glauben, dass die Stimmen der Frauen, die zu den ersten gehörten, die einen Wandel forderten, endlich gehört werden.

Bist Du bereit zu bleiben und für Gerechtigkeit zu kämpfen? In Island hat sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Kirche verändert. Pfarrerin Auður Eir Vilhjálmsdóttir wurde 1974 als erste Frau in der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Island zur Pastorin ordiniert. Am Anfang gab es noch viel Widerstand. "Heute studieren viele junge Frauen Theologie und werden ordiniert, um als Pfarrerinnen zu dienen. In der Tat gibt es viele motivierte Frauen, die die Kirche nachhaltig verändern. Ich bin zuversichtlich, dass diese Frauen den positiven Wandel fortsetzen und die Richtung und die täglichen Aktivitäten der Kirche beeinflussen werden", sagte sie in einem Interview mit dem Lutherischen Weltbund.[8]

Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an diesen mutigen Streikerinnen nehmen - in Putney, Island, Deutschland und darüber hinaus - und aktiv werden. Es gilt, die Augen zu öffnen und patriarchale Einstellungen in Frage zu stellen. Gott möchte, dass seine Kinder, Männer und Frauen, miteinander und nicht gegeneinander arbeiten. Unsere Herausforderung ist klar: Wie können wir unseren Einfluss geltend machen, um dieses Verständnis zu erreichen?

https://www.cbeinternational.org/resource/article/mutuality-blog-magazine/leave-or-stay-how-women-can-change-church



[1] https://fullreads.com/literature/the-strike-at-putney/

[2] Alle Fakten und Zitate über Women’s Day Off stamen von Kirstie Brewer, “The day Iceland's women went on strike,” BBC News, 23 October 2015, https://www.bbc.com/news/magazine-34602822

[3] https://www.katholisch.de/thema/673-maria-20

[4] https://www.mariazweipunktnull.de/

[5] https://www.mariazweipunktnull-medien.de/thesenanschlag/

[6] https://www.droemer-knaur.de/buch/lisa-koetter-schweigen-war-gestern-9783963401862

[7] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/warum-die-maria-2-0-gruenderin-aus-der-kirche-austritt,SYR0UaH

[8] https://www.lutheranworld.org/news/iceland-she-trailblazed-legacy-womens-ordination


Photo: Maria 2:0

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