Rosch ha-Schana
Während ich dies schreibe,
hat die jüdische Welt gerade ihr Neujahrsfest Rosch ha-Schana gefeiert und dabei
in Honig getauchte Apfelstücke, rundes Challa, Fisch und Granatäpfel gegessen, die alle
eine symbolische Bedeutung haben. Die Apfelstücke stehen für die Süße
im neuen Jahr und die runde Form des Challa-Brotes symbolisiert den runden
Jahresverlauf sowie die Bitte um Harmonie und Hoffnung. Der Granatapfel ruft
dazu auf, so viel Gutes zu tun, wie die Frucht Kerne hat. Vom Fisch werden auch
Teile des Kopfes gegessen, damit es einem so geht wie dem Kopf und nicht dem
Schwanz, denn Rosch ha-Schana heißt wörtlich „Kopf des Jahres“.
Die ersten Worte der Bibel führen uns an den
Anfang der Weltgeschichte. Dort lesen wir “im Anfang schuf Gott“. Bereschit bara. Das erste Wort der Bibel ist
bereschit, und die Wurzel dieses Begriffs ist das Wort rosch (ראש), das "Kopf" bedeutet.
Zu Rosch ha-Schana feiert das Judentum nicht nur das Neujahr, sondern auch den
Beginn der Zeitrechnung als Gott die Welt und den Menschen schuf. So bedeutet
in diesem Zusammenhang das Wort Rosch auch Anfang. Und das führt mich zu dem,
was der Apostel Paulus im Neuen Testament meint, wenn er vom Haupt schreibt.
Damals gab es schon die Septuaginta, die älteste durchgehende Übersetzung der
hebräisch-aramäischen Bibel in die altgriechische Alltagssprache (etwa 250-100
v. Chr.) und das Neue Testament wurde auf Griechisch geschrieben. Wenn im NT
die Bibel zitiert wurde, dann aus dieser griechischen Übersetzung.
So benutzt auch Paulus das griechische Wort
kephale (κεφαλή) das unsere Übersetzungen meist als Haupt widergeben, so wie
die neue Lutherübersetzung:
“Ich will aber, dass ihr wisst, dass Christus das Haupt eines jeden Mannes ist;
der Mann aber ist das Haupt der Frau; Gott aber ist das Haupt Christi… Denn der
Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau von dem Mann. Und der Mann wurde
nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen“
1Korinther 11,3+8+9 Lu17.
Paulus bezieht sich da eindeutig auf die Schöpfung des Menschen.
In der Übersetzung Das Buch[1]
aus dem Jahr 2009 verwendet Roland Werner die Begriffe Haupt und Ursprung, was
sinnvoll erscheint, da Haupt (Rosch, die Wurzel von Bereschit) bei der Schöpfungsgeschichte
in Genesis 1 mit Anfang übersetzt wird.
“Ich möchte auch, dass ihr dies wisst: Der Messias ist Haupt und Ursprung von
jedem Mann, und der Ursprung der Frau ist der Mann, der Ursprung des Messias
aber ist Gott selbst…Denn, so lautet diese Auffassung, schließlich stammt der
Mann nicht von der Frau ab, sondern die Frau vom Mann. Und ebenso wurde auch
der Mann ja nicht wegen der Frau geschaffen, sondern die Frau um des Mannes
willen… Man kann also sagen: Genauso, wie die
Frau vom Mann herstammt, so ist der Mann auch durch die Frau geschaffen! Und
schließlich kommt doch alles in Wirklichkeit von Gott“ 1Korinther 11,3+8+9+12a DBU.
Der Mann ist das Haupt. Das haben wir so oft
gelesen und gehört. Und doch ist dies ein schwieriger Abschnitt, denn die meist
männlichen Übersetzer haben ihn widergegeben beeinflusst von ihrer Kultur, bei
der Frauen unter der Autorität der Männer lebten. Der Sinn des restlichen
Kapitels hängt davon ab, was Paulus hier mit dem Wort "Haupt" meint.
Laut den Wörterbüchern bedeutet "Haupt" im griechischen Sprachgebrauch
nicht "Haupt" im Sinne von Souveränität, Macht und Autorität, sondern
"Haupt" im Sinne von "Quelle", wie die "Quelle"
oder der "Kopf" eines Flusses. Diese Bedeutung von Ursprung oder
Quelle, die Paulus auch an anderen Stelle verwendet, macht in 1. Korinther 11,3
durchaus Sinn, denn fünf Verse später (1. Korinther 11,8) sagt er: "Denn
der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau von dem Mann," und
bezieht sich dabei auf den Schöpfungsbericht in Gen 2,18-25.
Die Übersetzung Hoffnung für Alle übersetzt 1 Kor 11,3 wie folgt: “Ich will
aber, dass ihr auch Folgendes wisst: Jeder Mann untersteht Christus, die Frau
dem Mann, und Christus untersteht Gott.“ Das ist eindeutig nicht das, was der
Text sagen will.
Bibelwissenschaftler haben das Recht und die Verantwortung,
hart zu arbeiten, abzuwägen und zu bewerten, was die Bibelstellen ihrer Meinung
nach bedeuten und wie sie angewendet werden sollten. Das ist Auslegung und
einer der Zwecke von Bibelkommentaren. Aber das ist nicht die Aufgabe des
Übersetzers; seine Aufgabe ist es, uns zu sagen, was die Bibelstelle sagt.
Das Hauptargument von Paulus in diesem Text
ist, wenn wir weiterlesen, dass Männer in der Anbetung die Kleider- und
Haarvorschriften befolgen sollten, die sie als männlich ausweisen, und Frauen die
Vorschriften, die sie als weiblich ausweisen. Es geht da nicht darum, dass Männer
über Frauen herrschen sollen oder ihre letzte Autorität wären.
Leider haben viele Bibelübersetzer immer dann,
wenn ein Begriff auf verschiedene Weisen übersetzt werden kann, sich dafür
entschieden, ein Wort zu wählen, das zu ihrer patriarchalen Kultur besser
passt. Das hat dazu geführt, dass man mit der Bibel die untergeordnete Rolle
der Frau begründet hat und dass sie der Autorität des Mannes unterstellt und
weniger wert ist. Damit hat sich auch die Religion schuldig gemacht hat am
Missbrauch von Frauen. Aber das ist ein weiteres Thema, das ich noch aufgreifen
werde.
Wenn ich mit der Bedeutung von Rosch ha-Schana
angefangen habe, möchte ich auch mit dem Jüdischen Neujahrsgruß schließen und
wünschen, dass alle, auch wir Frauen, ein gutes Jahr haben. Schana tova!
[1] Neues
Testament – übersetzt von Roland Werner, © 2009 SCM R.Brockhaus in der SCM
Verlagsgruppe GmbH, Witten
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