Frauenförderprogramm


 In mein E-Mail-Postfach flatterte im Sommer 2022 eine Einladung von einer politischen Partei ein. Die Überschrift hieß: „Zukunft wird mit Frau gemacht – Frauenförderprogramm.“ Eingeladen wurde zu einem Förderprogramm das KandidatInnen für die Kommunalwahl 2024 vorbereiten sollte. In drei Modulen soll Wissensvermittlung zu politischen Strukturen, Prozessen und Inhalten auf kommunaler Ebene, die Stärkung individueller Soft Skills und der Aufbau eines politischen Netzwerks (inkl. Mentoringprogramm) stattfinden. Politik wird oft noch als Männersache betrachtet, und deshalb ist es wichtig, dass Frauen auch in diesem Lebensbereich gefördert werden.  Dazu gibt es vier Seminarwochenenden und verschiedene digitale Abendveranstaltungen. Die Begründung der Aktion: Wir möchten Gleichberechtigung in der Politik erreichen. Dafür braucht es mehr Frauen in den Gruppen, die politische Entscheidungen treffen. Uns ist klar, dass eine gute Zukunft nur mit Frauen in Verantwortungspositionen gestaltet werden kann.

Als im Oktober 2022 die Nachricht in den Medien zu lesen war, dass nun auch in Neuseeland Frauen im Parlament die Mehrheit bekommen haben, wurde ich wieder daran erinnert, wie ungleich Frauen weltweit in der Politik vertreten sind. In sechs Ländern sind mehr als die Hälfte der Abgeordneten weiblich. Weltweit ist der Prozentsatz heute 24,9%. In den USA sind nur 27 Prozent aller Volksvertreter in Senat und Unterhaus weiblich. Im Deutschen Bundestag liegt der Frauenanteil im 20. Deutschen Bundestag bei nur 34,9 Prozent. Die Liste der Spitzenländer ist interessant. Ruanda, Kuba und Bolivien haben zwischen 61 und 53 Prozent Frauen in ihren Parlamenten.

Ruanda führt die Liste an

Dass Ruanda 61,3 % Frauen im Parlament vorweisen kann liegt wahrscheinlich nicht nur am politischen Ehrgeiz der Frauen sondern an dem schrecklichen Völkermord des Jahres 1994. Vor dem Genozid hatten Frauen in Ruanda nur wenig Rechte. Sie wurden meist als Eigentum des Mannes betrachtet, festgenagelt auf die Rolle als Hausfrau und Mutter. Die Mehrzahl der Toten waren Männer. Die Mehrzahl der Geflohenen waren Männer. Die Mehrzahl der Gefangenen waren auch Männer. Wer also sollte das Land regieren?

Nach dem Genozid veränderte sich einiges für Ruandas Frauen. Zahlreiche Frauen gingen in die Politik und erließen frauenfreundliche Gesetze. Sie setzten auf die Förderung von Bildung von Mädchen und Frauen. Seit 2003 gibt es im Parlament eine Frauenquote von 30 Prozent das in der Tat von den aktuellen Zahlen weit überschritten wird. Seit dieser Zeit erlebt das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung. Allerdings st die Gleichstellung noch nicht überall in der Gesellschaft angekommen.

Kuba
Der hohe Frauenanteil von über der Hälfte in Kuba ist ein Ergebnis einer "Kandidatenauswahl von hoher Qualität", wie das Politbüromitglied José Machado Ventura gegenüber dem kubanischen Fernsehen erklärte. In den Monaten vor der Wahl werden die Kandidaten durch die Massenorganisationen des Landes nominiert. Obwohl die regierende Kommunistische Partei daran nicht beteiligt ist, entstammen doch viele der Kandidaten ihren Reihen. Das ist jedoch kein zwingendes Kriterium. Damit sich die Gesellschaft in ihren Abgeordneten wiederfinden kann, wird auch auf eine proportionale Vertretung der jeweiligen Berufs- und Altersgruppen, Frauen und Afrokubanern geachtet.[1]

Bolivien
Bolivien hat weltweit den drittgrößten Frauenanteil im Parlament. Diese Entwicklung wurde innerhalb der vergangenen zehn Jahre erreicht. In Bolivien sorgt ein Gesetz für Geschlechtergleichheit für eine Rekordbeteiligung von Frauen in der Politik.[2]

Das Parlament der Vereinten Arabischen Emirate besteht zur Hälfte – 20 aus 40 – aus ernannten Abgeordneten, nur die andere Hälfte ist gewählt, und das von 220.000 ausgewählten Bürgern und Bürgerinnen. Die politische Situation in Nicaragua stellt die Wahlergebnisse in Frage. In Mexiko sorgt eine gesetzliche Frauenquote dafür, dass genauso viele Frauen wie Männer im Parlament sitzen.

Paritätsgesetze
In Europa haben Belgien, Frankreich, Portugal, Spanien und Slowenien gesetzliche Geschlechterquoten für Kandidatenlisten, jeweils zwischen 40 Prozent und 50 Prozent. In Deutschland wurden alle Versuche, ein derartiges Gesetz zu beschließen, für verfassungswidrig erklärt. Einige Parteien haben freiwillige Kandidatenquoten bei der parteiinternen Kandidatenaufstellung beschlossen. Für mich ist es wichtig, dass Frauen die Chance haben, gewählt zu werden, aber auch dass sie tatsächlich in den Parlamenten sitzen und mit entscheiden.

Nicht nur in der Politik

Wie oft habe ich mich darüber geärgert, dass bei den Delegiertentagungen meiner Freikirche auf den verschiedensten Ebenen die Vertreter der Kirche nicht die Mitglieder wirklich repräsentieren. Die Kirche besteht zu 65-70% aus Frauen, aber in den Leitungsgremien sind sie eine verschwindende Minderheit. Ich kann mich noch daran erinnern, wie der vormalige Präsident der Generalkonferenz, der aus Norwegen stammte, die Kirche dazu aufrief, junge Menschen und Frauen als Delegierte zur Vollversammlung der Kirche zu senden. Er sagte, dass er darauf keinen Einfluss hätte, weil die Delegierten von den Unionen bestimmt würden.

Mir ist klar, dass wir als Freikirche nur eine Scheindemokratie haben. Die Mitglieder von der Basis haben kein direktes Wahlrecht und können somit keinen Einfluss auf Entscheidungen haben. Die Ortsgemeinden können zwar Delegierte auf Vereinigungsebene wählen, die zur Landesversammlung eingeladen werden, aber auf allen anderen Ebenen werden die Vorschläge der Ortsgemeinden von den höheren Verwaltungsebenen noch gesiebt. So entscheidet die Vereinigung, wer von den vorgeschlagenen Delegierten zur Verbandsversammlung tatsächlich entsandt wird. Der Verband sucht sich die Delegierten für die Generalkonferenz ohne Mitwirkung der Gemeindebasis aus. Das sind keine Vertreter der Gemeinde, wie wir “Volksvertreter“ verstehen würden.

Als Ausrede dafür, dass die meisten Delegierten Männer sind, wird häufig angegeben, dass die Frauen sich dafür nicht interessieren oder sich für solche Tagungen freimachen können. Es mag sein, dass da etwas daran ist. Aber gerade deshalb bräuchten wir auch in der Freikirche ein Frauenförderprogramm wie die o.g. Partei es anstrebt. Wir müssten die Frauen für Kirchenpolitik interessieren, ihnen Wissen vermitteln, wie die Kirchenorganisation funktioniert, sie ausbilden darin, wie Tagungen ablaufen und welche Möglichkeiten der Mitgestaltung die parlamentarischen Regeln den Delegierten bieten. Auch bei uns wäre es wichtig, die Soft Skills zu stärken und Netzwerke zu bauen.

Wir haben schon viele fähige, gut ausgebildete Frauen, die der Freikirche helfen würden, gut für die Zukunft ausgerüstet zu sein. Was für die o.g. politische Partei gilt, gilt auch für unsere Freikirche: “eine gute Zukunft kann nur mit Frauen in Verantwortungspositionen gestaltet werden.“ Wenn wir unsere Frauen ausbilden, damit sie gut ausgerüstet sind, wenn sie mal als Delegierte gewählt würden, hätten wir wenigstens eine gute Grundlage für eine neu gestaltete Kirchenorganisation geschaffen, wenn sie denn einmal zustande käme. Mein Appell lautet: Schaffen wir ein gutes Frauenförderprogramm, um eines Tages bereit zu sein!

 




Bild: ZDF



[1] https://amerika21.de/2018/03/197321/kuba-weiblichstes-parlament

[2] https://www.blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/bolivien-paritaetsgesetze-sorgen-fuer-hohe-frauenquote-in-politik/

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