Werden Frauen heute besser behandelt?
Meinem Vater war es wichtig, gut
informiert zu sein, und so abonnierte er die wöchentliche Zeitschrift Adventist Review und die
Jugendzeitschrift Youth’s Instructor, die
zwar aus der weiten Welt in unser nordeuropäisches Land einen langen Weg
hatten, aber regelmäßig mit der Post ankamen, wenn auch mit großer Verspätung. Ich liebte es, diese Zeitschriften zu
lesen. Die Berichte und ihre AutorInnen wurden mir durch ihre Seiten vertraut.
Als erstes las ich immer die Kolumne “Dear Miriam,“ in der Miriam Wood jungen
Menschen auf ihre Fragen antwortete. Im Laufe von zwölf Jahren schrieb sie fast
150 Beiträge, die jedes Mal ausgeglichen, weise, mutig und positiv waren. Ihr
letzter Beitrag erschien am 29. Dezember, 1994,[1] und sie konnte auf 40
Jahre, in denen sie für ihre Kirche geschrieben hatte, zurückblicken. Miriam
Wood war die beliebte Briefkastentante der Kirche der Siebenten-Tags
Adventisten (STA). Sie war die Frau des langjährigen Chefredakteurs von
Adventist Review, Kenneth Wood, aber ihre Kolumne wurde erst von seinem
Nachfolger, William Johnsson ins Leben gerufen. Als produktive Autorin
veröffentlichte sie 16 Bücher, die Geschichten von Menschen enthielten, die ihr
Leben in den Dienst der Kirche der STA stellten. Selbst arbeitete sie als
Lehrerin und hatte einen guten Einblick in alle Dinge, die in der Kirche
vorgingen. Ich hatte das Vorrecht, vielen führenden Persönlichkeiten meiner
Kirche zu begegnen. Oft saßen sie bei uns am Esstisch und mein Horizont wurde
durch die geführten Gespräche erweitert. Miriam Wood war eine dieser Personen,
und ich kann mich daran erinnern, wie lebhaft das Gespräch mit ihr war.
Für die Beratungen über die Rolle
der Frau in der Kirche in Camp Mohaven im Jahr 1973 schrieb Miriam Wood eine
Ausarbeitung über die Diskriminierung von weiblichen Angestellten der Kirche
der STA.[2] Sie machte deutlich, dass
sie nicht zu den Frauenrechtlerinnen gezählt werden will, aber für gerechte
Behandlung und Bezahlung von Frauen in der Kirche eintritt. Sie stellte die
Frage, ob männliche Führungspersonen der Kirche so unsicher, mittelmäßig und
doch so überzeugt von ihrer Überlegenheit seien, dass sie Frauen als
gleichwertig nicht akzeptieren können. Diese Einstellung der männlichen
Vorherrschaft habe es so lange gegeben, dass sie als göttlich vorgeschrieben
betrachtet wird. Um ihr Argument zu belegen, berichtete sie von verschiedenen
Fällen, in denen Männer – respektierte Kirchenleiter – eine überhebliche
Haltung Frauen gegenüber zeigten.
Wood schreibt von der Tragik, dass
angesichts des großen Auftrags der Kirche die unglaubliche Fülle an Fähigkeiten,
Talenten und Dienstbereitschaft der Frauen ignoriert wird. Noch schlimmer,
diese Fähigkeiten würden herablassend behandelt, und gleichzeitig ausgebeutet. Die
Mehrheit der Gemeinde würde ignoriert, schreibt sie, weil sie Frauen sind. Als
Beispiel von Diskriminierung von Frauen erzählte sie folgende Geschichte:
Wegen der Kündigung einer
Mitarbeiterin einer Institution, deren Arbeit hochqualifiziert, sehr anspruchsvoll
und wichtig war, mussten die leitenden Brüder für diesen Posten einen Ersatz
finden. Die betreffende Mitarbeiterin hatte jahrelang klaglos und ohne
Würdigung bei schlechter Bezahlung geschuftet. Nach vielen ernsthaften
Diskussionen kamen sie zu dem Schluss, dass wegen des Umfangs der Aufgabe ein
Mann benötigt wurde, damit die Arbeit 'richtig‘ erledigt würde. Deshalb wurde
in aller Eile ein völlig neues Budget für die Stelle geschaffen das den männlichen
Erwartungen entsprach. Allerdings war die Arbeitsbelastung des Postens in
Wirklichkeit so außerordentlich hoch, dass eine Neuverteilung der Verantwortung
vorgenommen werden musste, bevor die leitenden Brüder es wagten, einen Ruf für
die Stelle herauszugeben. Leider war die Menge an Arbeit immer noch zu viel und
sie konnten keinen Mann finden, der bereit war, die Arbeit anzunehmen. Die
ruhige, zuverlässige Frau hatte wirklich ein enormes Arbeitspensum geleistet. Was
war zu tun? Wieder gab es eilige, fieberhafte Beratungen. Die Arbeit musste
getan werden, und Termine mussten eingehalten werden. Die Verantwortlichen
trafen die ‘einzig mögliche‘ Entscheidung. Vorübergehend, so sagten sie, müsse
eine andere Frau hinzugezogen werden. Natürlich würde das Anforderungsprofil
wieder zu seinem ursprünglichen Entwurf zurückkehren, und, wie ein Mitglied des
Ausschusses es kurz und bündig ausdrückte: "Wir werden das Budget doch
nicht in Anspruch nehmen müssen. Wir werden eine ganze Menge Geld sparen, weil
wir einer Frau nicht das zahlen müssen, was wir einem Mann zahlen würden!"
Die Frau, die sie für die Arbeit
fanden, war aber temperamentvoller als manche ihrer geknechteten Schwestern, und
kündigte sofort, als sie die Ungerechtigkeit der Situation begriffen hatte. Die
Männer staunten über ihre Unverfrorenheit und Undankbarkeit. Wie sie das
Dilemma schließlich lösten, wusste Wood nicht, als sie darüber berichtete. Sie
hoffte allerdings, dass sie keine weitere geduldige Frau gefunden hätten, die
sie im Namen der Opferbereitschaft ausnutzen konnten.
Aufopferung gehört sicher dazu, wenn Menschen für eine Kirche arbeiten und sich
mit ganzem Herzen der Aufgabe widmen, unabhängig von einer finanziellen
Entschädigung. Wood betonte aber, dass diese Opferbereitschaft nicht nur von
den angestellten Frauen erwartet werden sollte. “Eine Lehrerin, eine
Stenografin, eine Chefsekretärin, eine Bibliothekarin - jede dieser
Berufstätigen hat Anspruch auf eine Entlohnung für die geleistete Arbeit, und
zwar zum gleichen Satz wie jeder andere, unabhängig vom Geschlecht. Wenn
weibliche Angestellte nicht die gleiche Entlohnung erhalten wie männliche
Angestellte, ist das krasse Diskriminierung.“
Als weiteres Beispiel der
Ungleichbehandlung berichtete sie von einer sehr begabten jungen Angestellten,
die eine Arbeit bekam, bei der sie eine große Last und Verantwortung zu tragen
hatte, die eigentlich nicht in ihren Arbeitsbereich gehörte. Da der Mann, der
offiziell für die Arbeit zuständig war, ohne die Arbeit zu leisten, alle
Anerkennung dafür entgegennahm, wandte sich die junge Frau an die
Entscheidungsträger. Sie fragte, ob sie, die fast Tag und Nacht arbeitete, nicht
die offizielle Stelle haben und die damit verbundenen größeren finanziellen
Vorteile erhalten könnte? Ihre Bitte wurde mit kaltem Unglauben aufgenommen.
"Wir werden niemals", so wurde ihr entschieden gesagt, "eine
Frau haben, die offiziell die Arbeit
macht, die du jetzt machst." Da sie eine temperamentvolle, emanzipierte
Seele war, fand sie bald eine andere Anstellung, immer noch in der Kirche, aber
in einem Büro, wo sie für ihre Arbeit auch anerkannt wurde. Den Bericht schloss
Wood mit der Bemerkung: Leider gibt es nur wenige solche Stellen.
Miriam Wood war keine Rebellin oder
Revoluzzerin. Sie war ein Kind ihrer Zeit, die erkannt hatte, dass man sich
klar und deutlich ausdrücken muss, aber auch vorsichtig mit den Männern umgehen
muss, um überhaupt gehört zu werden. Sie akzeptierte, dass Frauen nicht
ordiniert werden und nahm das Thema gar nicht auf. Ihre Stimme ist nun
verstummt, die sich gegen die Diskriminierung der Frauen in der Kirche erhoben
hatte.
Andere, die sich an diese Zeit
erinnern, sagen, dass in den 1970ern eine Stimmung der Hoffnung herrschte, dass
alles besser würde. Nun sind diese Hoffnungen zerschlagen, denn Frauen werden immer
noch nicht mit ihren männlichen Kollegen gleichbehandelt.
Nun, mag man sagen, liegen solche
Erfahrungen in der Vergangenheit. Heute werden Frauen besser behandelt. Das
stimmt in manchen Bereichen der Kirche. Wir haben Fortschritte erzielt. In
Deutschland gibt es aufgrund von Geschlecht bei der Bezahlung von Pastoren
keine Unterschiede. Die Leiter der Kirche zeigen Wertschätzung für die Arbeit,
die Frauen in der Kirche tun. Sie haben erkannt, dass die Gemeinde nicht auf
mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder verzichten kann. Und doch sind viele
Vorurteile gegen Frauen immer noch vorhanden. Vielleicht hat die Leitungsebene
es erfasst, dass Frauen und Männer gleichwertig sind, aber in manchen Gemeinden
erleben Pastorinnen noch von Gemeindegliedern Missachtung, die sie stark
belastet. Das sehen wir, wenn Gemeindeglieder sich weigern, von einer Pastorin
das Abendmahl in Empfang zu nehmen. Das hören wir, wenn einer Pastorin gesagt
wird, dass sie eigentlich nichts am Podium zu suchen hat. Das spüren wir, wenn
junge Studienabsolventinnen angesichts der Belastung sich lieber als Bibelarbeiterinnen
bezeichnen und auf die Verantwortung als Pastorin verzichten wollen.
In einem alten Album fand ich ein
Bild der Pastoren der neugegründeten Westfinnischen Vereinigung aus dem Jahre
1948. Neben den acht Männern (mit dem Verbandsvorsteher waren sie 9) gab es elf
Frauen, die in der Verkündigung des Evangeliums arbeiteten. Man nannte sie
Bibelarbeiterinnen, aber sie wurden überall genau wie die Pastoren in der
Seelsorge und Verkündigung angenommen und respektiert. Es mag sein, dass sie
damals noch nicht gleich entlohnt wurden, aber alle, Männer wie Frauen, dienten
ihrer Kirche aufopferungsvoll. Zwanzig Jahre später bat der Finnische Verband um Erlaubnis, solche Frauen ordinieren zu dürfen.
Die Ordination von Frauen zum
Predigtamt wurde in der Anfangszeit der Kirche der STA positiv bewertet, obwohl
der 1881 gefasste Beschluss nicht umgesetzt wurde. Seit dieser Zeit hat es eine
Pendelbewegung gegeben zwischen der Befürwortung und Ablehnung von ordinierten
Pastorinnen seitens der Kirchenleitung. Die Bemühungen scheiterten durch den
Widerstand von konservativen Kräften. Viele Studien sind durchgeführt worden,
ohne ein übereinstimmendes Ergebnis hervorzubringen. Wie ich an anderer Stelle
zeige, könnte man das Problem durch eine Gleichbehandlung leicht lösen, indem
das Wort Ordination abgeschafft wird.
Miriam Wood konzentrierte sich auf
eine Gleichbehandlung anderer Art. Sie lehnte die männliche Überheblichkeit ab,
die Frauen als minderwertig ansah und sich in ungleicher Bezahlung ausdrückte.
Genauso prangerte sie es an, dass von Frauen mehr Arbeit erwartet wurde als von
einem Mann, und das noch mit geringerer Bezahlung. Sie hat es wohl nicht mehr
erlebt, dass einer Frau die Anerkennung für ihre Arbeit gegeben worden wäre,
indem man sie offiziell in eine Leitungsposition berufen hätte, deren Arbeit
sie sowieso schon tat. Abteilungsleiter sind immer noch meist Männer.
Es ist interessant, dass Wood
allgemein vom Kirchenvolk geliebt und respektiert wurde, obwohl sie auch solche
unbequemen Dinge ansprach. Da ich nicht die Gabe der sanften Sprache
beherrsche, möchte ich nur auf die gewaltige Zunahme an Posten in der
Kirchenverwaltung auf allen Ebenen vorsichtig hinweisen. Es sind viele
Vollzeitstellen geschaffen worden, an die man früher nicht einmal gedacht
hätte. Die meisten dieser Stellen sind mit Männern besetzt. Wenn eine Frau
irgendwo als Abteilungsleiterin berufen wird, bietet man ihr keine volle
Stelle, sondern erwartet von ihr, dass sie 100% Arbeit für 60% Bezahlung
leistet.
Als ich neulich den
Tätigkeitsbericht der Frauen in meiner Ortsgemeinde für die Leiterin der
Abteilung Frauen der Vereinigung zusammenstellte, stellte ich fest, dass fast
alles, was wir in der Gemeinde tun, von Frauen getan wird. Es sind auch Männer
dabei, und darüber sind wir froh, aber eigentlich sind es die Frauen die initiieren,
organisieren, planen und ausführen. Es geht auch nicht darum, dass wir
vergleichen müssten, wer mehr tut. Wir engagieren uns zusammen und sollten uns
gegenseitig respektieren, fördern und unterstützen. Das ist mein Traum.
Foto: Privatarchiv
Rouhe
Kommentare
Kommentar veröffentlichen